Vertrag zwischen den USA und der UdSSR
über die Begrenzung von ballistischen Raketenabwehrsystemen

"Die USA und die UdSSR, nachfolgend als die Vertragspartner bezeichnet, sind: von der Prämisse ausgehend, daß ein Nuklearkrieg verheerende Folgen für die gesamte Menschheit haben würde; aus der Erwägung heraus, daß wirksame Maßnahmen zur Begrenzung der ballistischen Raketenabwehrsysteme ein wesentlicher Faktor bei der Einschränkung des Wettrüstens mit strategischen Offensivwaffen sein und zu einer Verminderung der Gefahr des Ausbruchs eines Krieges mit Kernwaffen führen würde; von der Prämisse ausgehend, daß die Begrenzung strategischer Offensivwaffen zur Schaffung günstigerer Bedingungen für weitere Verhandlungen über die Begrenzung der strategischen Rüstungen beitragen würden; eingedenk ihrer Verpflichtungen gemäß Art. VI des Vertrages über die Nichtweiterverbreitung von Kernwaffen; unter Betonung ihrer Absicht, zum frühestmöglichen Zeitpunkt die Einstellung des nuklearen Wettrüstens zu erreichen und wirksame Maßnahmen zur Reduzierung der strategischen Rüstung, zur nuklearen Abrüstung sowie zur allgemeinen und vollständigen Abrüstung zu ergreifen; aus dem Wunsche heraus, zur internationalen Entspannung und zur Stärkung des Vertauens zwischen den Staaten beizutragen, wie folgt übereingekommen:

Art. I:
1. Jeder Vertragspartner verpflichtet sich, die ballistischen Raketenabwehrsysteme (ABM) zu begrenzen und in Übereinstimmung mit den Bestimmungen dieses Vertrages weitere Maßnahmen zu ergreifen.
2. Jeder Vertragspartner verpflichtet sich, keine ABM-Systeme für eine Verteidigung des Territoriums seines Landes zu dislozieren und keine Base für eine solche Verteidigung einzurichten sowie keine ABM-Systeme zur Verteidigung eines einzelnen Gebietes zu dislozieren, ausgenommen wie dies in Art. III dieses Vertrages vorgesehen ist.

Art. II:
1. Im Sinne dieses Vertrages ist ein ABM-System ein System zur Abwehr strategischer ballistischer Raketen oder ihrer Elemente in einer Flugbahn, das gegenwärtig besteht aus:
(A) ABM-Abfangraketen; dies sind Abfangraketen, die für eine Rolle im Rahmen des ABM konstituiert und disloziert worden sind, oder Raketen eines Typs, der auf ABM-Eigenschaften getestet worden ist.
(B) ABM-Abschußvorrichtungen, die für den Start von ABM-Abfangraketen konstruiert und disloziert worden sind, und
(C) ABM-Radareinrichtungen; dies sind Radareinrichtungen, die für eine Rolle im Rahmen des ABM konstituiert und disloziert worden sind, oder Einrichtungen, die auf ABM-Eigenschaften getestet worden sind.
2. Zu den ABM-System-Komponenten, die in Absatz 1 dieses Artikels aufgeführt sind, gehören solche, welche: (a) einsatzbereit (b) im Bau (c) in der Erprobung sind, (d) überholt, repariert oder umgebaut werden oder (e) eingemottet sind.

Art. III:
Jeder Vertragspartner verpflichtet sich, keine ABM-Systeme oder ihre Komponenten zu dislozieren, ausgenommen:
(A) innerhalb eines ABM-System-Dislozierungsgebietes mit einem Radius von 150 km und dem Mittelpunkt in der Hauptstadt des Vertragspartners darf ein Vertragspartner dislozieren:
1) nicht mehr als 100 ABM-Abschußvorrichtungen und nicht mehr als 100 ABM-Abfangraketen an den Startplätzen, und
2) ABM-Radareinrichtungen innerhalb von nicht mehr als 6 ABM-Radarkomplexen, wobei das Gebiet jedes Komplexes kreisförmig sein muß und nur einen Durchmesser von höchstens 3km haben darf, und
(B) innerhalb eines ABM-Dislozierungsgebietes das einen Radius von 150 km hat und in dem ICBM- (Interkontinentalraketen)-Abschuß-Silos liegen, darf ein Vertragspartner dislozieren:
1) nicht mehr als 100 ABM-Abschußvorrichtungen und nicht mehr als 100 ABM-Abfangraketen an den Startplätzen;
2) 2 große ABM-Radareinrichtungen mit phasengesteuerter Richtwirkung, die im Wirkungsbereich mit entsprechenden ABM-Radareinrichtungen vergleichbar sind, die zum Zeitpunkt der Unterzeichnung des Vertrages in einem ABM-System-Dislozierungsgebiet, in dem ICBM-Abschuß-Silos liegen, einsatzbereit oder im Bau sind, und
3) nicht mehr als 18 ABM-Radareinrichtungen, von denen jede einen geringeren Wirkungsbereich haben muß als die kleinere der beiden oben genannten großen ABM-Radareinrichtungen mit phasengesteuerter Richtwirkung.

Art. IV:
Die in Art. III vorgesehene Begrenzungen sollen nicht gelten für ABM-Systeme oder ihre Komponenten, die für die Entwicklung oder für Versuchszwecke verwandt werden und innerhalb gegenwärtiger oder zusätzlich vereinbarter Versuchsgebiete liegen. Jeder Vertragspartner darf nicht mehr als insgesamt 15 ABM-Abschußvorrichtungen in Versuchsgebieten besitzen.

Art. V:
1. Jeder Vertragspartner verpflichtet sich, keine ABM-Systeme oder ihre Komponenten zu entwickeln, zu testen oder zu dislozieren, die seegestützt sind, luftgestützt sind, weltraumgestützt sind oder mobil landgestützt sind.
2. Jeder Vertragspartner verpflichtet sich, keine ABM-Abschußvorrichtungen zu entwickeln, zu testen oder zu dislozieren, von denen mehr als eine ABM-Abfangrakete zur gleichen Zeit von jeder Vorrichtung gestartet werden könnte, keine dislozierte Abschußvorrichtung dahingehend abzuändern, daß sie mit einer solchen Fähigkeit ausgestattet würde, und keine automatischen oder halbautomatischen oder ähnliche Systeme für die rasche Neuladung von ABM-Abschußvorrichtungen zu entwickeln, zu testen oder zu dislozieren.

Art. VI:
Um die Garantie für die Wirksamkeit der Begrenzungen der ABM-Systeme und ihrer Komponenten, wie sie in diesem Vertrag vorgesehen sind, zu fördern, verpflichtet sich jeder Vertragspartner:
(A) Keinen Raketen-Abschußvorrichtungen oder Radareinrichtungen außer ABM-Abfangraketen, ABM-Abschußvorrichtungen oder ABM-Radareinrichtugen die Fähigkeit zu verleihen, strategischen ballistischen Raketen oder ihren Elementen in einer Flugbahn entgegenzuwirken und sie nicht auf ABM-Eigenschaften zu testen, und
(B) in der Zukunft keine Radareinrichtungen für ein Frühwarnsystem gegen einen Angriff mit strategischen ballistischen Raketen zu dislozieren, mit Ausnahme an Plätzen entlang der Peripherie seines nationalen Territoriums und nach außen gerichtet.

Art. VII:
Vorbehaltlich der Bestimmungen dieses Vertrages darf eine Modernisierung und ein Ersatz von ABM-Systemen oder ihrer Komponenten vorgenommen werden.

Art VIII:
ABM-Systeme oder ihre Komponenten über die Zahl hinaus oder außerhalb der Gebiete, wie in diesem Vertrag spezifiziert, ebenso wie ABM-Systeme oder ihre Komponenten, wie durch diesen Vertrag verboten, werden im Rahmen vereinbarter Verfahren innerhalb des kürzesten Zeitraumes zerstört oder demontiert.

Art. IX:
Um die Lebensfähigkeit und Wirksamkeit dieses Vertrages sicherzustellen, verpflichtet sich jeder Vertragspartner, keine ABM-Systeme oder Komponenten davon, wie sie durch diesen Vertrag begrenzt werden, nach anderen Staaten zu verbringen und sie nicht außerhalb seines nationalen Territoriums zu dislozieren.

Art. X:
Jeder Vertragspartner verpflichtet sich, keine internationalen Verpflichtungen einzugehen, die im Widerspruch zu diesem Vertrag stehen würden.

Art. XI:
Die Vertragspartner verpflichtet sich, aktive Verhandlungen über die Begrenzung von strategischen Offensivwaffen fortzusetzen.

Art. XII:
1. Zum Zwecke der Sicherstellung der Einhaltung der Bestimmungen dieses Vertrages wird jeder Vertragspartner ihm zur Verfügung stehende nationale technische Mittel der Verifizierung in einer Weise anwenden, die in übereinstimmung mit den allgemein anerkannten Grundsätzen des Völkerrechts steht.
2. Jeder Vertragspartner verpflichtet sich, nicht in die nationalen technischen Mittel der Verifizierung des anderen Vertragspartners, der in Übereinstimmung mit Absatz 1 dieses Artikels handelt, einzugreifen.
3. Jeder Vertragspartner verpflichtet sich, keine absichtlichen Verschleierungsmaßnahmen anzuwenden, die die Verifizierung der Einhaltung der Bestimmungen dieses Vertrages durch nationale technische Mittel behindern. Diese Verpflichtung soll keine Änderung der gegenwärtigen Bau-, Montage-, Umwandlungs- oder Überholungsverfahren erfordern.

Art. XIII:
1. Zur Förderung der Zielsetzungen und Durchführung der Bestimmungen dieses Vertrages werden die Vertragspartner unverzüglich eine Ständige Beratende Kommission einsetzen und werden innerhalb dieses Rahmens:
(A) Fragen erörtern, die die Einhaltung der übernommenen Verpflichtungen und damit in Beziehung stehende Situationen betreffen, die als nicht eindeutig erscheinen mögen;
(B) auf freiwilliger Basis solche Informationen verfügbar machen, die der eine oder andere Vertragspartner für notwendig erachtet, um ein Vertrauen in die Einhaltung der übernommenen Verpflichtungen zu gewährleisten;
(C) Fragen erörtern, die einen unbeabsichtigten Eingriff in die nationalen technischen Mittel der Verifizierung beinhalten;
(D) etwaige Veränderungen in der strategischen Situation erörtern, die eine Auswirkung auf die Bestimmungen dieses Vertrages haben;
(E) sich auf Verfahren und Daten für die Zerstörung oder die Demontage der ABM-Systeme oder ihrer Komponenten in den Bestimmungen dieses Vertrages vorgesehenen Fällen einigen;
(F) soweit angebracht, mögliche Vorschläge für eine weitere Stärkung der Lebensfähigkeit dieses Vertrages erörtern, darunter auch Vorschläge für Vertragszusätze in Einklang mit den Bestimmungen dieses Vertrages;
(G) soweit angebracht, Vorschläge für weitere Maßnahmen erörtern, die auf eine Begrenzung der strategischen Rüstungen abzielen.
2. Die Vertragspartner werden auf dem Wege der Konsultationen Statuten für die Ständige Beratende Kommission aufstellen- und können sie, falls angebracht, durch Zusätze erweitern, die die Verfahrensweisen, die Zusammensetzung und andere relevante Angelegenheiten betreffen.

Art. XIV:
1. Jeder Vertragspartner kann Zusatzbestimmungen zu diesem Vertrag vorschlagen. Vereinbarte Zusätze sollen in Einklang mit den für das Inkrafttreten dieses Vertrages maßgeblichen Verfahren ihrerseits in Kraft treten.
2. 5 Jahre nach Inkrafttreten dieses Vertrages- und danach in Abständen von jeweils 5 Jahren- werden die Vertragspartner zusammen eine überprüfung dieses Vertrages vornehmen.

Art. XV:
1. Dieser Vertrag soll von unbegrenzter Dauer sein.
2. Jeder Vertragspartner soll in Ausübung seiner nationalen Souveränität das Recht haben, von diesem Vertrag zurückzutreten, wenn er zu der Entscheidung gelangt, daß außergewöhnliche Ereignisse, die im Zusammenhang mit dem Gegenstand dieses Vertrages stehen, seine höchsten Interessen gefährdet haben. Er soll dann dem anderen Vertragspartner 6 Monate vor dem Zurücktreten von dem Vertrag von seiner Entscheidung Kenntnis geben. Eine solche Bekundung soll eine Erklärung über die außergewöhnlichen Ereignisse einschließen, die der seine Absicht bekundene Vertragspartner als seine höchsten Interessen gefährdend ansieht.

Art. XIV:
1. Dieser Vertrag bedarf der Ratifizierung in Einklang mit den verfassungsmäßigen Verfahren jedes Vertragspartners. Der Vertrag soll am Tage des Austausches der Ratifikationsurkunden in Kraft treten.
2. Dieser Vertrag soll gemäß Art. 102 der Charta der UN hinterlegt werden ..."


Quelle: Archiv der Gegenwart