NATO-Strategie der flexiblen Reaktion (Dokument MC 14/3)
"Strategieüberlegungen
Verteidigungsprinzipien
16. Das Abschreckungskonzept des Bündnisses basiert auf:
a. einer klaren Entschlossenheit, gemeinsam zu handeln und das Gebiet des Nordatlantischen Bündnisses gegen alle Formen einer Aggression zu verteidigen;
b. einer erkennbaren Fähigkeit des Bündnisses, effektiv zu reagieren, ungeachtet des Niveaus einer Aggression;
c. einer Flexibilität, die den potentiellen Aggressor daran hindert,
darauf zu vertrauen, die bestimmte NATO-Reaktion auf eine Aggression vorherzusagen, und die ihn zu der Schlussfolgerung führt, in ein unannehmbares Risiko verwickelt zu werden, ungeachtet der Natur seines Angriffs.
17. Sollte die Abschreckung fehlschlagen und eine Aggression stattfinden, gibt es seitens NATO drei Arten der militärischen Reaktion, wobei eine oder mehrere Arten bei bestimmten Möglichkeiten Verwendung fände:
a. Direktverteidigung:
Die Direktverteidigung sucht die Aggression auf der Ebene, die der Feind zum Kampf gewählt hat, zu besiegen. Sie beruht auf der physischen Behinderung dessen, was der Feind beabsichtigt. Eine Fähigkeit zur Direktverteidigung bei irgendwelchen Möglichkeiten dient als Abschreckung dieser Eventualität. Eine erfolgreiche Direktverteidigung, vereitelt entweder die Aggression oder legt die Bürde der Eskalation auf den Aggressor.
Die volle Auswahl für die Direktverteidigung existiert, wenn die NATO erfolgreich Ort, Zeit, Niveau und Dauer einer Aggression einschätzen kann.
Das Konzept der Direktverteidigung schließt die Verwendung von verfügbaren Kernwaffen ein, die man auf der entweder vorgeplanten oder fallweisen Grundlage autorisieren kann.
Das Erfordernis für die Direktverteidigung besteht in einer effektiven Streitkraft, die zu Lande eine Fähigkeit zur Vorwärtsverteidigung und auf See eine Fähigkeit zur Verteidigung, wo immer die Aggression auftritt, besitzen muss.
b. Vorbedachte Eskalation:
Die vorbedachte Eskalation versucht sich gegen eine Aggression zu verteidigen in dem man durch deren absichtliches Anheben- möglichst Umfang und Intensität des Kampfes kontrollierend - die Kosten und Risiken unverhältnismäßig gegenüber den Zielen des Aggressors macht und die Bedrohung einer nuklearen Reaktion fortschreitend und nachhaltig verstärkt.
Es hängt nicht einzig von der Fähigkeit ab, die feindliche Aggression als solche zu besiegen; eher schwächt es seinen Willen, den Konflikt weiter fortzusetzen. Abhängig von der Stufe, an welcher die Aggression beginnt, der erforderlichen Zeit für jede Eskalationshandlung und –reaktion und der Erfolgsrate, könnten die Eskalationsschritte unter folgenden Beispielen gewählt werden. Sie wurden zuvor nicht als Teil eines Direktverteidigungssystem verwendet:
(1) die Vertiefung oder Intensivierung eines nicht nuklearen Engagements, möglicherweise durch Eröffnung einer anderen Front oder Auslösen einer Handlung auf See als Reaktion auf eine Aggression geringer Intensität;
(2) die Verwendung von nuklearen Verteidigungs- und Abwehrwaffen;
(3) die demonstrative Verwendung von Kernwaffen;
(4) selektive Kernwaffenschläge auf untersagte Ziele;
(5) selektive Kernwaffenschläge gegen andere geeignete militärische Ziele.
c. Allgemeine nukleare Reaktion:
Die allgemeine nukleare Reaktion betrachtet massierte Kernwaffenschläge gegen das gesamte nukleare Bedrohungspotential, andere militärische Ziele, städtische und industrielle Ziele als erforderlich. Sie kann der NATO durch einen sowjetischen nuklearen Hauptangriff aufgezwungen werden. Sie ist beiderseits ultimative Abschreckung und, wenn gebraucht, die letzte militärische Reaktion.
Elemente der Strategie
18. Das Verteidigungskonzept: um die Gebiete und Bevölkerung der NATO zu schützen und die freie Nutzung der Hohen See und des Luftraumes zu erhalten, sollte das NATO-Verteidigungskonzept die folgenden Grundziele erfüllen:
a. eine strategische nukleare Abschreckungsposition mit einer Fähigkeit zum Vergeltungsschlag und allgemeiner Bereitschaft zum Krieg aufrechtzuerhalten.
b. einem potentiellen Angreifer glaubwürdig zu machen, dass er mit einer unmittelbaren und wirksamen Reaktion seitens der NATO rechnen muss, sollte das Konzept der Vorneverteidigung durchgesetzt werden. Ausreichend kampfbereite und ausgewogene Land-, Luft- und Seestreitkräfte sollten so weit vorne als notwendig und möglich eingesetzt und stationiert werden.
c. die Größenordnung einer jeder Aggression zu Lande oder zur See so schnell als möglich zu erkennen.
d. den Angreifer daran zu hindern, NATO-Gebiet zu erlangen und zu halten
oder in die freie Nutzung der Hohen See und des Luftraumes einzugreifen und bei einer beschränkten Aggression zu entgegnen, ohne notwendigerweise auf eine nukleare Kriegführung zurückzugreifen; oder, wenn der Angreifer bei seiner Absicht bleibt, ihm solchen Widerstand gegenüberzustellen, dass er gezwungen wird, sich weiter zurückzuziehen oder eine Eskalation zu riskieren, die, wenn notwendig, den kontrollierten Gebrauch von Kernwaffen einschließen würde.
e. mit einer großen Aggression durch Aufbringen solcher konventionellen und nuklearen Kapazitäten wie sie zur Erreichung der Ziele der NATO notwendig sein können zurechtzukommen."
Quelle: MC 14/3 (Endfassung vom 16.01.1968), S.8ff.