NATO-Strategie der massiven Vergeltung (Dokument MC 14/2)



"16. So teilt sich der Krieg unter den oben umrissenen Bedingungen logisch in zwei Hauptphasen:

a) Phase I: Eine Periode von gewalttätigen Kämpfen großen Maßstabes von einer vergleichsweise kurzen Dauer, die wahrscheinlich nicht dreißig Tage übersteigen werden, deren ersten Tage von der größten Intensität des nuklearen Schlagabtausches charakterisiert sein würden.

b) Phase II: Eine längere Periode von unbestimmter Dauer für die Reorganisation, für den Nachschub und die Wiederherstellung notwendiger militärischer Aufgaben, die zu einem Ende des Krieges führt.

Es gibt jedoch wahrscheinlich keine solche klare Aufteilung zwischen den Phasen im Falle eines Seekrieges, wo Anti-u-Boot-Operationen wahrscheinlich für eine unbestimmte Periode weitergehen würden.

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Das strategische Konzept

23. Das allgemeine Verteidigungskonzept der NATO ist es, die Erhaltung des Friedens zu fördern und die Sicherheit des nordatlantischen Vertragsbereiches durch eine Konfrontation des potentiellen Angreifers mit NATO-Kräften, welche so organisiert, aufgeteilt, trainiert und ausgerüstet sind, dass er zu dem Schluss kommen wird, dass die Chancen für eine günstige Entscheidung zu klein seien, um akzeptabel zu sein und dass tödliche Risiken involviert sein würden, wenn er einen bewaffneten Angriff beginnen oder unterstützen würde.

24. unser Hauptziel besteht darin, den Krieg durch Schaffung einer wirksamen Abschreckung gegen eine Aggression zu verhindern. Die wichtigsten Elemente dieser Abschreckung sind angemessene nukleare und andere einsatzfähige Kräfte, sowie die deutlich gezeigte Entschlossenheit, einen Vergeltungsschlag mit allen uns zur Verfügung stehenden Waffen, auch den Atomwaffen, die zur Verteidigung der NATO erforderlich wären, gegen jeden Angreifer zu führen.

25. Zur Vorbereitung eines allgemeinen Krieges für den Fall, dass dieser uns aufgezwungen würde,

a) müssen wir zunächst sicherstellen, dass wir in der Lage sind, einen sofortigen und vernichtenden atomaren Gegenschlag mit allen verfügbaren Mitteln zu führen, und die Fähigkeit zu entwickeln, den feindlichen Angriff aufzufangen und zu überleben.

b) müssen wir übereinstimmend und eng verwandt mit dem Erreichen dieses Ziels unsere Fähigkeit weiterentwickeln, unsere Land-, See- und Luftstreitkräfte zur Verteidigung der Land- und Seegebiete der NATO so weit vorne wie möglich einzusetzen um die Unversehrtheit des NATO Gebietes zu bewahren, indem von Anfang an auf den Einsatz von Atomwaffen gesetzt wird. Wir müssen die Fähigkeit besitzen, diese Operationen in Verbindung mit der nuklearen Gegenoffensive fortzuführen bis der Wille und die Fähigkeit des Feindes zum allgemeinen Krieg zerstört worden ist.

c) müssen wir abschließend auf eine Periode der Reorganisation, Wiederherstellung und Sammlung der übrig gebliebenen Ressourcen vorbereitet sein, um die übrigen notwendigen militärischen Maßnahmen zu treffen, die zu einer Beendigung der Feindseligkeiten führen.

d) müssen wir durchgehend die Seekommunikation so schützen und behaupten, wie sie zur Unterstützung der oben genannten Aufgaben erforderlich ist.

e) müssen die Nationen überall vorbereitet sein, die gesetzliche Ordnung an der Heimatfront zu gewährleisten.

26. Die NATO muss darauf vorbereitet sein, sofort und in entsprechender Stärke - und unterhält deshalb entsprechende Mittel - auf anderweitige Aggressionen gegen das NATO-Gebiet wie Infiltrationen, Grenzdurchbrüche oder feindselige lokal begrenzte Aktionen zu reagieren, ohne unbedingt Zuflucht in Kernwaffen zu suchen.

27. Gleichzeitig sollten wir anerkennen, dass Streitkräfte bestimmter NATO-Nationen die Flexibilität wahren müssen, die benötigt wird, um Aktionen zu erlauben, begrenzten militärischen Situationen außerhalb des NATO-Bereichs, die nicht zum allgemeinen Krieg gehören, zu begegnen. Diese Flexibilität sollte den NATO-Verpflichtungen der Mitgliedsnationen entsprechen und mit dem Hauptziel, den NATO-Bereich zu schützen, abgestimmt werden."


Quelle: MC 14/2 (Endfassung vom 23.05.1957), S.6, 13f.