Verhandlungen des Deutschen Bundestages vom 20.-25.03.1958, Dr. Dr. Gustav Heinemann (SPD)
[BT S.1059f.]
"Sie sagen, wenn die Bundeswehr nicht atomar bewaffnet wird, dann sei die Zugehörigkeit der Bundesrepublik zur Nato in Frage gestellt. Wir antworten: Der NATO-Vertrag sagt nicht, daß wir atomar bewaffnet sein müssen.
Wir lehnen diese atomare Bewaffnung aus einer Fülle von Gründen ab. Sie machen daraus eine NATO-Frage, weil sie wissen, dass die atomare Bewaffnung unpopulär ist. Soll das durch die Verschiebung der Frage auf die NATO überdeckt werden? Auch wenn wir keine Aufrüstung der Bundeswehr vollziehen, kann die Bundesrepublik gegenwärtig in der NATO bleiben, so wie auch andere Nationen in ihr sind, ohne atomar bewaffnet zu sein, andere Nationen zumal, die nicht gespalten sind wie wir."
[BT S. 1063]
"Was das Rechtliche anlangt, so wird Ihnen nicht unbekannt sein, Daß das Völkerrecht wenigstens zwei Grenzen in der Handhabung des Krieges setzt.
Erlaubt ist keinesfalls Gewalt gegen Nichtkombattanten, und die Kriegsmittel sind begrenzt. Ich erinnere daran, daß z.B. in der Haager Landkriegsordnung von 1907 der Satz steht:
Die Kriegführenden haben kein unbeschränktes Recht in der Wahl der Mittel zur Schädigung des Feindes.
Ich erinnere daran, daß das Genfer Protokoll von 1925- auch mit deutscher Beteiligung- ähnliches sagt. Die neuen sogenannten Waffen sind die prinzipielle Außerkraftsetzung allen Kriegsrechts, sind das Ende aller Errungenschaften abendländischer Kultur."
[BT S. 1063]
"Ich sagte, es steht eine zweite Vorfrage vor Ihnen und vor uns allen: Sind Massenvernichtungswaffen verantwortbar, christlich verantwortbar?
[BT S. 1063]
"Ich nenne die Atomwaffen Ungeziefervertilgungsmittel, bei denen diesmal der Mensch das Ungeziefer sein soll."
[BT S. 1064]
"Sie fragen uns, ob wir verantworten wollen, daß die Sowjetunion uns überwinden könnte. Ich
frage Sie: Können Sie es verantworten, daß unser aller Selbstmord als die Alternative gegen ein politisches System ins Augen gefaßt wird?"
[BT S. 1065]
"Notwehr ist ihrem Sinn und ihrem Charakter nach eine begrenzte Abwehr, aber Notwehr mit Massenvernichtung ist unmöglich.
Sie sagen: Aber wir wollen ja diese Massenvernichtungsmittel nur zur Abschreckung, zur Drohung! Meine Damen und Herren, was heißt das praktisch? Als Ihnen hier in der Diskussion vorgehalten wurde, Sie wollten den Atomkrieg, haben Sie sich leidenschaftlich dagegen gewehrt. Ich verstehe diese Abwehr, wenn Sie sagen: Natürlich beabsichtigen wir nicht den Atomkrieg. Nein, das tun sie nicht, aber Sie müssen dennoch letzten Endes sagen, daß Sie den Atomkrieg wollen, weil Sie ihn ja wollen müssen, wenn Ihre Drohung ernst sein soll, wenn Ihre Drohung wirksam sein soll.
Mit den alten, sogenannten konventionellen Waffen konnte man drohen, weil ihre Anwendung eine ausführbare Handlung war. Aber mit Atombomben und Wasserstoffbomben zu drohen,- ist das eine ausführbare Handlung, wenn die Drohung gegen eien Gegner exerziert wird, der mit diesen Waffen zurückschlagen kann? Diese Drohung ist entweder nicht ausführbar- dann ist sie politisch wirkungslos-, oder hinter dieser Drohung steht die Entschlossenheit, Atombomben und Wasserstoffbomben anzuwenden. Dann aber sind Sie in der Bedrängnis der Frage, ob Sie solches tun dürfen und tun können."
[BT S. 1065]
"Wir sind besser geschützt, wenn der Atomwettlauf zum Stehen kommt."
[BT S. 1066]
"Wir wollen nicht weniger Sicherheit als Sie, verehrte Damen und Herren, wir wollen eine andere Sicherheit und eine bessere Sicherheit."
Quelle:
[BT] Verhandlungen des Deutschen Bundestages, 3. Wahlperiode, Stenogrphische Berichte Band 40, Bonn 1958