Verhandlungen des Deutschen Bundestages vom 20.-25.03.1958, Dr. Konrad Adenauer (CDU)


[BT S. 843]
Ich sagte soeben, die NATO stehe waffentechnisch und damit auch taktisch und strategisch vor einer Umorganisation. Es handelt sich um die Einführung von Raketenwaffen und die Frage der nuklearen Waffen im Bereich der NATO. Diese Anwendung - und ich wünsche, daß sehr viele Deutsche das hören - der waffentechnischen Entwicklung auch in der NATO ist für die militärische und die politische Situation in der gesamten Welt und damit für Deutschland entscheidend.
(Beifall in der Mitte)
Gegen sie richtet sich in erster Linie die Agitation der Sowjetunion. Dabei hat die Sowjetunion selbst die Entwicklung der Waffentechnik mit allen Mitteln betrieben und sie selbst in ausgedehntestem Maße zunutze gemacht.
(Sehr gut! In der Mitte)
In der Bundesrepublik wird in bestimmten Kreisen behauptet, die Aufrüstung der deutschen Bundeswehr mit nuklearen Waffen und Raketenwaffen würde zum Untergang Deutschlands führen, vergrößere die Spannungen in der Welt, verhindere die Wiedervereinigung, führe letzten Endes zum globalen Atomkrieg und damit zu einer fürchterlichen Katastrophe. Die Kreise, die das behaupten, schlagen daher vor, daß sich die Bundesrepublik unter keinen Umständen an dieser Neuorganisation der NATO beteiligen dürfe, daß sie weder nukleare Waffen noch Raketen haben dürfe...


[BT S. 843]
Der potentielle Gegner der NATO ist die Sowjetunion, der Ostblock. Die Sowjetunion ist mit nuklearen Waffen und Raketen aufgerüstet. Wenn ein wichtiger Teil der NATO nicht Waffen gleicher Stärke wie der potentielle Gegner besitzt - der Herr Verteidigungsministerminister wird darüber noch sprechen -, ist sie bedeutungslos und zwecklos geworden.
(Zustimmung in der Mitte)
Wenn es die strategische Planung der NATO - die wir natürlich nachprüfen müssen und nachprüfen werden - verlangt, daß auch wir, die Bundesrepublik, von dieser Fortentwicklung der Waffentechnik Gebrauch machen, und wenn wir uns dann weigern, das zu tun, scheiden wir damit aus der NATO aus. Um diese Frage - ich habe das schon einmal gesagt und betone es nochmals - dreht sich, wenn man die Dinge substantiell sieht, unsere ganze Diskussion, also um die Frage: Sollen und müssen wir im Interesse des deutschen Volkes und im Interesse des Friedens in der Welt in der NATO bleiben, auch wenn es sich als nötig erweist, die waffentechnische Entwicklung der NATO mitzumachen?


[BT S. 844]
Wir haben im Interesse unserer Selbsterhaltung die Pflicht, alles zu tun, daß jede Katastrophe vermieden wird. Das können wir nur dann, wenn wir in der NATO bleiben, die NATO stärken, nicht aber durch Verweigerung sich etwa ergebender Verpflichtungen die NATO schwächen, aus ihr ausscheiden. Wir sind ein wichtiger Bestandteil der NATO und wir würden durch vertragswidriges Verhalten die NATO zerstören. Wir haben die Pflicht, alles zu tun, was wir können, um auf diese Weise die Möglichkeit eines Auswegs aus der furchtbaren Situation, in der sich die Welt befindet, mitzuschaffen.

Quelle:
[BT] Verhandlungen des Deutschen Bundestages, 3. Wahlperiode, Stenographische Berichte Band 40, Bonn 1958